Relief Therapeutics macht vorwärts, dennoch ist alles offen
Das Schweizer Biotechunternehmen ist dieses Jahr der unangefochtene Gewinner an der Börse. Jetzt nimmt auch das Geschäft Formen an. Doch Relief hat nur eine Chance.
Geschätzte Leserin, geschätzter Leser,
Relief Therapeutics ist die Story der Schweizer Börse in diesem Jahr: Der Kurs des zuvor bedeutungslosen Schweizer Biotech-Unternehmens ist seit Jahresanfang fast 60’000% vorgeprescht – aus dem Nichts auf eine Marktkapitalisierung von mehr als 1,3 Mrd. Fr.
er Grund: Relief hat mit Aviptadil (RLF-100) einen Kandidaten in der Pipeline, der möglicherweise als Arzneimittel zur Behandlung von Covid-19-Patienten wirkt, die sonst an Lungenversagen zu sterben drohen.
Es gibt allerdings zwei grosse Aber: Erstens ist die Wirksamkeit von Aviptadil bislang nicht nachgewiesen. Zweitens ist RLF-100 das einzige Produkt im Besitz des nahezu virtuellen Unternehmens, das lediglich von einer Handvoll Leuten geführt wird.
Doch jetzt macht Relief vorwärts: Das Biotechunternehmen hat zwar noch immer keinen CEO, sondern wird vom Verwaltungsrat unter Präsident Raghuram «Ram» Selvaraju geführt. Seit Anfang September hat es aber mit Gilles Della Corte immerhin einen Chief Medical Officer.
Und noch etwas: Seit wenigen Tagen steht fest, wie die künftig erhofften Einkünfte aus dem möglichen Covid-19-Medikament verteilt werden sollen.
Die erhofften Einnahmen bereits verteilt
Relief will die Einnahmen, die VRP Ram im Interview mit The Market im Falle einer Zulassung auf «viel höher als 100 Mio. Fr. pro Jahr» veranschlagt, mit NeuroRx teilen. Die US-Entwicklungsfirma NeuroRx führt im Auftrag von Relief das klinische Entwicklungsprogramm für Aviptadil durch.
NeuroRx soll im Falle einer Zulassung die Kommerzialisierung von Aviptadil in den USA, Kanada und Israel übernehmen, während Relief die Verkäufe in Europa und dem Rest der Welt angehen will. Der Profit aus den Verkäufen in den USA, Kanada und Israel teilen sich Relief und NeuroRx je hälftig, von den Einnahmen aus den europäischen Verkäufen sollen Relief 85% zustehen sowie 80% aus allen übrigen Regionen.
Der jüngste Entwicklungsschritt wurde heute morgen bekanntgemacht: Relief hat über den Entwicklungspartner NeuroRx bei der US-Gesundheitsbehörde FDA eine Emergency Use Authorization, also eine Notfallzulassung für Aviptadil eingereicht. Dies für die Behandlung von Covid-19-Patienten, die an kritischer Atmungsinsuffizienz leiden und bei denen alle zugelassenen Therapien bereits ausgeschöpft wurden.
Gute Chancen auf die Notfallzulassung
Die Chancen stehen in der Tat gut, dass die FDA eine solche Notfallzulassung gewähren dürfte: Erstens handelt es sich bei Covid-19 um einen sogenannt deklarierten Fall von «Public Health Emergency», eine Voraussetzung, dass eine Notfallzulassung überhaupt gewährt werden kann. Zweitens wird Aviptadil bereits seit einigen Jahren für andere Indikationen verabreicht, womit das Sicherheitsprofil des Wirkstoffs relativ gut bekannt ist. Drittens braucht es für eine Notfallzulassung lediglich die Voraussetzung, dass das Medikament «möglicherweise wirksam» ist. Dies im Gegensatz zu einer normalen Zulassung, die einen Wirksamkeitsnachweis verlangt.
Der nicht unähnliche Fall von Gileads Remdesivir hat gezeigt, dass eine US-Notfallzulassung unter diesen Umständen innerhalb weniger Wochen erreichbar ist.
Keine aussagekräftigen Studiendaten
Ist das der Durchbruch für Relief? Noch ist es viel zu früh, diese Frage zu beantworten. Aus der heutigen Mitteilung von Relief geht hervor, dass Aviptadil bislang an lediglich 21 Patienten verabreicht wurde und zwar im Rahmen einer Studie auf einer einzigen Intensivstation, in der zum Vergleich vom selben Personal dreissig Patienten mit allen verfügbaren konventionellen Therapien behandelt wurden.
Die mit Aviptadil therapierten Patienten zeigten dabei zwar eine dreifach höhere Überlebenschance. Angesichts der geringen Stichprobengrösse lässt dies aber keine belastbaren Aussagen zur Wirksamkeit zu.
Eine Notfallzulassung würde es Relief nun aber ermöglichen, Aviptadil auch in weiteren US-Spitälern zum Einsatz zu bringen, die sonst keine Wirkstoffe einsetzen, die sich noch in der Entwicklungsphase befinden.
Dies würde die Voraussetzung schaffen, dass die Wirksamkeit von Aviptadil innerhalb einer kürzeren Zeit an einer signifikanten Stichprobenpopulation untersucht werden könnte. Das Unternehmen selbst spricht davon, noch vor Jahresende erste Studiendaten vorlegen zu wollen.
Welche Anhaltspunkte zum Sicherheitsprofil und zur Wirkung dabei herauskommen werden, ist aktuell aber völlig offen. Auch ob es gelingen wird, auf dieser Basis den für eine reguläre Zulassung notwendigen Nachweis der Wirksamkeit zu führen.
Im Interview mit The Market hat Relief-VRP die Wahrscheinlichkeit für einen positiven Zulassungsbescheid der FDA auf 60% bis 70% veranschlagt.
Sein Optimismus ist gut nachzuvollziehen: Zumindest für Relief ist Aviptadil die einzige Überlebenschance. Ob das auch auf die besonders schwer von Covid-19 getroffenen Patienten zutrifft, ist damit jedoch weiterhin offen.
Im positiven Fall hätten die Relief-Aktien weiteres Kurspotenzial – trotz der bereits atemberaubenden Performance. Im negativen Fall droht ihnen jedoch der Rückfall ins Nichts.